#3 Russland im Camper
18. September 2019#Neuer Camper
5. Juli 2020Hallo Vanilla Familie
wie schön dich wiederzusehen zum vierten Reisetagebuch!
Wir verabschieden uns von Sergej und fahren etwa eine Stunde südlich, zur „Datschja“.
Die Datschja ist der Sommersitz russischer Familien.
Aber nicht mit schicken Häusern und herausgeputzten Auffahrten. Die Datschja ist ein großer Gemüsegarten mit einem einfachen Haus, meist mit Banja und erst seit wenigen Jahren mit Wasseranschluss. Hier verbringen die Familien die langen Sommerferien. Alle packen mit an, graben Kartoffelfelder um, gießen Tomaten und Gurken, sammeln Äpfel und Birnen und futtern Beeren bis der Bauch weh tut.Immer gibt es etwas zu tun, zu reparieren oder zu kochen, auf der Datschja kann es ganz schön geschäftig werden und trotzdem vergisst Babuschka nicht alle rechtzeitig zum Essen zu rufen, und zum Tee mit Keksen, der zwischen den Mahlzeiten serviert wird. Am Ende verlässt man die Datschja, trotz all der Arbeit, mit einem runderen Bauch als man angekommen ist.
Diese Datschja gehört dem Bruder meiner Urgroßmutter, mütterlicherseits. Witzigerweise hat er die Cousine meiner Babuschka väterlicherseits geheiratet. Das mag etwas kompliziert klingen, aber Fakt ist, dass diese Familie meine beiden Familien quasi zusammen bringt.
„Wie lange bleibt ihr?“, fragt Babuschka.
„So ein, zwei Nächte etwa“ , antworte ich.
„Nein, das geht nicht. Bei uns muss man mindestens eine Woche bleiben.“, sagt die alte Frau bestimmt.
Und so kommt es dann auch. Wir helfen hier und da, pflanzen Himbeeren um, mähen den Rasen und genießen.
Die Zeit auf der Datschja scheint still zu stehen. Kein Lärm, kein Smog, kein gar nichts. Nur die Natur, das Haus und der Garten. Und so bleiben wir einen Tag länger und zwei. "Wie? Ihr wollt am Abend fahren? Bleibt doch wenigstens die Nacht und fahrt nach dem Frühstück." Hier ein Nickerchen, da noch was machen. "Aber ihr solltet doch noch einen Tee mit uns trinken." Wir verbringen beinahe eine Woche hier.
Es ist einfach so schön und wir könnten ewig bleiben.
Die alten Leute sind zu wacklig, um 20l Wasser vom Brunnen herunterzubringen und sie sind offensichtlich etwas einsam. Ihnen fehlen die Kinder und Enkel, die im Moskauer Stadtleben beschäftigt sind. Die Zeiten haben sich geändert und in unserer schnelllebigen Gesellschaft bleibt eben keine Zeit mehr sich mit den Alten zu beschäftigen.„Wie war sie so, als sie jung war?“, frage ich den Deduschka. Ich meine meine Urgroßmutter, seine Schwester, nach der ich benannt wurde. Sie war so besonders, das durfte selbst ich noch miterleben. Ihre Geschichte prägt die der Familie. Die Familie meiner Mutter ist Deutsch. Deutsche Auswanderer, die ein neues Leben in Russland anfingen. Sie lebten in deutschen Dörfern, sprachen Deutsch, gingen auf deutsche Schulen.
Im Krieg dann wurden sie deportiert, aus Angst, sie könnten zur deutschen Wehrmacht überlaufen. Dabei lebten sie seit Generationen in Russland und hatten absolut gar nichts mit diesem Krieg zu tun.
Oma nannte ich sie, weil sie Deutsch mit allen sprach. Ganz, ganz altes deutsch. Oma wurde mit ihrem Neugeborenen nach Sibirien geschickt, während ihr junger Ehemann ins Arbeitslager gesteckt wurde. Er versuchte von dort zu fliehen, um seine Familie zu sehen, wurde gefangen und mit der Begründung, dass er zu den Deutschen überlaufen wollte, erschossen.
Meine Großmutter hat ihren Vater nie kennengelernt. Erst fünfzig Jahre später wurde dies der Familie mitgeteilt. Als wir als „Spätaussiedler“ wieder nach Deutschland einreisen wollten, musste die Familie beweisen, dass sie deutscher Abstammung ist. Nach einiger Recherche kam dann ein Brief vom Staat, der den Tod von Karl Bartholi bestätigte.
Im Krieg dann wurden sie deportiert, aus Angst, sie könnten zur deutschen Wehrmacht überlaufen. Dabei lebten sie seit Generationen in Russland und hatten absolut gar nichts mit diesem Krieg zu tun.
Oma nannte ich sie, weil sie Deutsch mit allen sprach. Ganz, ganz altes deutsch. Oma wurde mit ihrem Neugeborenen nach Sibirien geschickt, während ihr junger Ehemann ins Arbeitslager gesteckt wurde. Er versuchte von dort zu fliehen, um seine Familie zu sehen, wurde gefangen und mit der Begründung, dass er zu den Deutschen überlaufen wollte, erschossen.
Meine Großmutter hat ihren Vater nie kennengelernt. Erst fünfzig Jahre später wurde dies der Familie mitgeteilt. Als wir als „Spätaussiedler“ wieder nach Deutschland einreisen wollten, musste die Familie beweisen, dass sie deutscher Abstammung ist. Nach einiger Recherche kam dann ein Brief vom Staat, der den Tod von Karl Bartholi bestätigte.
Diese Geschichte, ein Teil meiner Geschichte, ist der Grund für meine Reise.
Wo haben sie gelebt, wer sind Russlanddeutsche und welche davon ist meine Kultur?
„Wie war sie so, als sie jung war?“, fragte ich also Viktorias jüngeren Bruder.
Es fällt ihm schwer über sie zu sprechen und es tut mir Leid, dass ich gefragt habe. Und doch müssen wir lachen und sind mit Glück erfüllt durch die Erinnerung an sie. Wir sind so weit voneinander entfernt, fast 60 Jahre und viele tausend Kilometer. Ich habe diesen alten Mann nur wenige Tage in meinem Leben gesehen und doch haben wir etwas gemeinsam, das uns zu einer Familie macht. Liebe.„Ich saß auf der Mauer als Karl kam. Damals waren sie noch nicht verheiratet. Und ich rief von der Mauer: 'Bräutigam! Der Bräutigam kommt.'“ Er ruft auf Deutsch. In demselben alten Deutsch, das Oma sprach. Er lacht und weint bei dieser Geschichte und alle am Tisch lachen und weinen mit ihm. Er war erst zehn, als sie deportiert wurden.
Wir setzen unsere Reise Richtung Süden fort.
Unsere Route macht reisetechnisch wenig Sinn, aber sie folgt den Schritten meiner Vorfahren. In Saratow treffen wir die Nichten und Neffen meines Großvaters. Die andere Seite der deutschen Vorfahren. Auch sie wurden deportiert und auch sie haben eine Geschichte zu erzählen. Wir gehen alte Fotos durch und lachen über die Ähnlichkeiten in der Familie. Nach dem Krieg war es den Deutschen verboten zurück in die alten Städte und Häuser zu ziehen, also leben sie jetzt hier.Am nächsten Tag fahren wir nach Engels auf der anderen Seite der Wolga. Hier ist Oma aufgewachsen. Es gibt ehrlich gesagt nicht viel zu sehen und keinen Bezug mehr zu diesem Teil der Familie. Dennoch bin ich dankbar und etwas verwundert, wie sehr die verschiedenen Familiengeschichten doch miteinander verwoben sind.
Wir bekommen einen drei-Liter-Topf Honig auf den Weg (wo soll ich den verstauen?!) und etwas Schmuck, den ich meiner Familie mitbringen werde.
Weiter geht es entlang der Wolga. Wir finden einen traumhaften Platz, an dem wir ein paar Tage bleiben. Die bisherige Fahrt durch Russland war viel Familie oder Regen. Wir genießen das einfache Leben und lassen die Eindrücke erst einmal sacken.
Weiter geht es entlang der Wolga. Wir finden einen traumhaften Platz, an dem wir ein paar Tage bleiben. Die bisherige Fahrt durch Russland war viel Familie oder Regen. Wir genießen das einfache Leben und lassen die Eindrücke erst einmal sacken.
Endlich Vanlife!
Die Wolga ist zeitweise spiegelglatt und wirkt wie ein stiller See. Zum ersten Mal seit Beginn der Reise nutzen wir hier unseren Wasserfilter und filmen ein Video zu unserem Wassersetup. Der Ort ist wie gemacht für Aufnahmen zum Thema Wasser. Schau selbst rein!
In Samara, etwas nördlich der Wolga (etwas nördlich sind in Russland schnell mal 400km), besuchen wir meine Tante. Meine Mutter spricht oft von ihr und sie sind sich in der Tat sehr ähnlich. Sie ist die Tochter des zweiten Kindes von Viktoria.
Sie heiratete wieder und bekam einen Sohn, Emil. Dadja (Onkel) Emil kommt jeden Tag ins Haus meiner Tante und schnitzt. Oma hatte eine seiner Holzfiguren bei sich, die nach ihrem Tot in Babuschkas Hände überging, wo die Enkel sie dann vermutlich kaputt gemacht haben. Dadja Emil ist ein ganz besonderer Mensch und so gar nicht, wie alle anderen. Als wir weiterfahren, gibt er uns einen Bären mit. Ich bin so froh, meine ganz eigene Holzfigur, meine Erinnerung.
Sie heiratete wieder und bekam einen Sohn, Emil. Dadja (Onkel) Emil kommt jeden Tag ins Haus meiner Tante und schnitzt. Oma hatte eine seiner Holzfiguren bei sich, die nach ihrem Tot in Babuschkas Hände überging, wo die Enkel sie dann vermutlich kaputt gemacht haben. Dadja Emil ist ein ganz besonderer Mensch und so gar nicht, wie alle anderen. Als wir weiterfahren, gibt er uns einen Bären mit. Ich bin so froh, meine ganz eigene Holzfigur, meine Erinnerung.
Wir haben eine tolle Zeit in Samara und würden gern für immer bleiben. Ich fühle mich wie zu Hause, nur eben hier.
Ein Spaziergang durch Samara
Die nächste Etappe unserer Reise haben wir in diesem Video zusammengefasst. Eine Geschichte, wie aus dem vermeintlich schlimmsten Moment der Reise der vermutlich schönste wurde. Schau es dir an und hinterlasse deine Meinung in einem Kommentar. Das Video hat auch deutsche Untertitel!
Jetzt bist du dran! Wie gefallen dir die Reisetagebücher bisher? Ich würde mich mega freuen, wenn du mir deine ehrliche Meinung hinterlässt. Hier in den Kommentaren, per Mail oder auch als Nachricht auf Instagram. Besonders die letzten Beiträge waren ja sehr persönlich und ich weiß gar nicht so recht, ob das überhaupt interessant ist für dich, oder ob du lieber Reise- und Vanlifegeschichten hören möchtest. Im nächsten Reisetagebuch würde ich das Feedback gerne berücksichtigen. Da wird es nämlich sehr persönlich. Ich komme in meinem Geburtsort in Kasachstan an. Aber zuerst nehmen wir dich noch mit auf unsere Reise durch Sibirien.
Wir freuen uns über deine Unterstützung!
2 Comments
Hallo ihr drei 💫
Auf diesem Weg möchte ich euch einfach mal danke sagen.
Danke für den Mut, die Ängste und auch die viele Zeit, um den zuhause gebliebenen soviel privates und schönes zu teilen.
Für mich ist Russland ein ganz besonderes Land, habe es selber vor drei Jahren besuchen dürfen (der Süden am Schwarzen Meer) und das ganz alleine, geborgen in russischer Gastfreundschaft.
Der Antrieb die familiären Wurzeln zu erforschen ist unglaublich wichtig und je früher man anfängt, um so mehr lernt über sich selbst, über seine Familienaufstellung.
Wie auch immer, es geht immer irgendwie wie weiter, auch wenn sich aktuell alles nur um das Überleben dreht (das liebe Geld)
Viel Erfolg, bedingungslose liebe und bis bald
LG Joerg (oder Joergik, die russische Variante 🤗)
Hallo Joergik ( mega 😀 )
Vielen Dank für deine tolle Nachricht. Russland ist wirklich ein tolles Land und ich freue mich schon wiederzukommen und andere Orte zu entdecken. Aber jetzt geht es ersteinmal wieder zurück. Irgendwie bin ich ja nun sogar froh, dass ich so hinterherhänge, was das Reisetagebuch angeht, dann kann ich nämlich den Winter über noch schön in Erinnerungen schwelgen und euch alle mitnehmen 🙂
Liebe Grüße
Viki